Der nachfolgende Text, unterschrieben von Dr. Clemens Stock (ehemaliger leitender Oberarzt der Gynäkologie am Elisabeth-Krankenhaus in Grevenbroich), Bernd Hirsekorn (Betriebsratsvorsitzender der Krankenhäuser in Grevenbroich und Dormagen) und Hubert Wissdorf (freier Journalist), wurde am Dienstag, den 5. November 2024 als Stellungnahme zu den Pressemitteilungen der Rommerskirchener CDU und der Kreis CDU, veröffentlicht am 4. und 5. November 2024 in der NGZ, an die NGZ geschickt und in deutlich verkürzter Version in der Ausgabe am 8. November 2024 veröffentlicht. Weggelassen wurden die Kritikpunkte an den Vorschlägen von Holger Hambloch (CDU-Rommerskirchen).
Für interessierte Leser hier die ungekürzte Version. Die weggelassenen Passagen mit der massiven Kritik an den CDU-Vorschlägen findet sich direkt am Anfang und Ende des Textes:
Stellungnahmen zu den Artikeln der Rommerskirchener CDU und der Kreis CDU am 4. und 5. November 2024 in der NGZ
Beide Aussagen der Kreis- und Rommerskirchener CDU enthalten keine wesentlichen Argumente, sondern wiederholen nur die seitens der Beraterfirma Roland Berger vorgeschlagenen Maßnahmen. Eine kritische Würdigung mit alternativen Wegen findet nicht statt. Als Fazit bleibt: Das Lukaskrankenhaus in Neuss soll um jeden Preis und in der bisherigen Form, sogar angereichert um Angebote aus Dormagen, erhalten bleiben. Dem wird die komplette stationäre Versorgung des Kreisgebietes außerhalb der Stadt Neuss untergeordnet, und das mit unabsehbaren Folgen. Dies ist aus Betrachtung des Kreises umso bemerkenswerter, da es mit dem Johanna-Etienne-Krankenhaus innerhalb von Neuss einen zweiten großen Anbieter gibt, in dem es 11 (!) identische Bereiche zum Lukaskrankenhaus gibt.
Mögliche Gründe, um jeden Preis an einem unangetasteten Lukaskrankenhaus zu Lasten der anderen Standorte festzuhalten:
- Prestigedenken
- Tradition
- Finanzielle Erwägungen der Stadt Neuss (Geld, das bisher auf drei Standorte verteilt wurde, kommt dann nur einem großen (Lukaskrankenhaus) und einem kleineren (Dormagen) zugute, d. h. der Anteil des Kreises an der Finanzierung des Lukaskrankenhauses steigt absolut und relativ an. Die Stadt Neuss wird irgendwann argumentieren können, dass ja das Lukaskrankenhaus für die Versorgung des gesamten Kreisgebietes zuständig ist, so dass perspektivisch alleine eine Finanzierung aus der Kreisumlage angestrebt wird. Das würde in diesem Fall zu einer Sanierung der Neusser Stadtfinanzen zu Lasten der Gesundheitsversorgung im Kreisgebiet und einem Rückzug von Verantwortung der Stadt Neuss führen.
- To big to fail
- Stellung der Chefärzte am Lukas
- (Gefühlte) Stellung der Stadt Neuss als Prima inter pares innerhalb des Kreises mit Vorrangstellung ihrer Institutionen
Zu den einzelnen Punkten des Artikels:
„Bestmögliche Gesundheitsversorgung“:
Wer definiert „best“ und wer „möglich“? Das Adjektiv in diesem Zusammenhang ist völlig inhaltsleer.
Sicherung der drei Standorte:
Seit Beginn der Fusion wird von der Sicherung der drei Standorte als Ziel der Fusion gesprochen, um einen „drohenden Verlust von Standorten“ zu vermeiden. So etwas jetzt noch in der Öffentlichkeit zu behaupten, ist dumm und dreist. Grevenbroich geht als Standort der allgemeinen stationären Versorgung in der nächsten kurzen Zeit vom Netz, in Dormagen beginnt mit der Frauenklinik die Demontage. Das Gebäude eines Krankenhauses ist kein Krankenhaus, eine geriatrische Fachklinik ersetzt eine stationäre Allgemeinversorgung mit Notfällen und Intensivstation nicht. Hinzu kommt, dass im Lukaskrankenhaus die Geriatrie bereits jetzt ausgebaut wird, was ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass Grevenbroich selbst als Fachklinik nicht dauerhaft gesetzt ist.
Erhalt der Klinikstandorte:
Man fragt sich, wie in Zukunft eine konzentrierte und effiziente Klinikstruktur unter Erhalt aller Standorte möglich sein wird, wenn das nach fünf Jahren Fusion unter besseren ökonomischen und organisatorischen Rahmenbedingungen nicht möglich war. Das Resultat: das Lukaskrankenhaus in Neuss mit gigantischem Investitionsbedarf, ein Standort aus der allgemeinen Versorgung ausgeschieden, ein Standort reduziert mit unsicherer Zukunft. Der Geschäftsführung, den Gesellschaftern und dem Aufsichtsrat fehlt sowohl eine Strategie, eine Vision und auch das Durchsetzungsvermögen Strukturen und Prozesse übergreifend und an allen Standorten anzupacken. Auch der Instrumentenkasten der Geschäftsführer scheint sehr begrenzt zu sein (mehrere Beratungsunternehmen wurden hier eingesetzt). „If you always do, what you always did, you will always get what you always got.“
Qualitätssteigerung:
Wenn den Verantwortlichen das Thema Qualität wirklich am Herzen liegen würde, hätte man nicht in Grevenbroich drei Zertifikate (Brustkrebs, Darmkrebs, Alterstrauma) abgeschafft und entschieden, aus Dormagen drei Zertifikate (Brustkrebs, Endometriose, MIC-Ausbildung) nach Neuss zu transferieren. Neuss hat diese Zertifikate bisher nicht erworben bzw. zugeteilt bekommen. Die Strukturen und Prozesse bestehen am Lukas gar nicht, um den Anforderungen gerecht zu werden. Qualitätsorientierte Standortpolitik wäre es gewesen, die Zertifikate an diesen Standorten zu stärken, auch zu Lasten des Lukaskrankenhauses.
Ressourcen gezielt einsetzen:
Die Forderung ist ja sinnvoll. Aber das muss uneingeschränkt auch für das Lukaskrankenhaus gelten. Hier scheinen wirtschaftliche Aspekte seit Jahren keine Rolle zu spielen (Rückstellungen für Sanierung). Anders ist die Akzeptanz der Verluste und der riesigen investiven Beträge nicht nachzuvollziehen, die nun zu Lasten der anderen Standorte reduziert werden sollen. Das Lukaskrankenhaus ist wesentlich für die schlechte wirtschaftliche Situation des Verbundes verantwortlich (vgl. Curacon-Gutachten). Die hohen finanziellen Bedarfe werden aus dem operativen Geschäft nicht zu finanzieren sein. Das Lukaskrankenhaus steht trotzdem mehr als auf der Kippe.
Regionale Identität:
Nett, aber platt und wohlfeil.
Kirchturmdenken aufgeben:
Das ist ja absolut lächerlich. Kirchturmdenken gibt es demnach nur in Grevenbroich und Dormagen? Auch hier gilt: solche Forderungen gelten gleichermaßen für das Lukaskrankenhaus.
Notfallversorgung Grevenbroich:
Der Verweis auf eine ambulante Notfallpraxis ist von sehr viel Unkenntnis geprägt.
- Alle Notfallpraxen laufen über die Kassenärztliche Vereinigung und liegen nicht im Zugriff des Kreises oder der Stadt.
- Folglich können solche Öffnungszeiten (8 – 22 Uhr) gar nicht durch den Träger verordnet werden.
- Die KV-Notfallpraxis wird durch niedergelassene Ärzte des Stadtgebietes bestückt. Diese können neben ihrer Praxis die gewünschten Öffnungszeiten gar nicht bedienen.
- Eine KV-Notfallpraxis behandelt grundsätzlich eine andere Patientenklientel (Husten, Schnupfen, Heiserkeit, usw.) als eine Notfallambulanz (Trauma, schwerwiegende Erkrankungen mit Notwendigkeit der stationären Versorgung etc.)
Der Hinweis, dass gewisse schwerwiegende Erkrankungen bereits jetzt in Neuss behandelt werden, bezieht sich vorwiegend auf Schlaganfälle (Johanna-Etienne) und Herzinfarkte (Lukas). Verletze (Knochenbrüche, Wunden etc.) oder andere akute Erkrankungen (z. B. Lungenentzündungen, Blutdruckkrisen etc.) wurden bisher ganz regelhaft in Grevenbroich behandelt. Reanimationspflichtige Patienten bedürfen der schnellstmöglichen stationären Versorgung, die bisher in Grevenbroich hervorragend geleistet wurde. Und eine präzise und belastbare Kalkulation zur Ausstattung der Rettungswachen, Erweiterung des Fuhrparks und Personals inkl. Notärzte (wo soll der stationiert sein?) sind bisher nicht bekannt.
Geburtsstation Dormagen:
Mit denselben Argumenten begann vor drei Jahren der Ausverkauf in Grevenbroich. Vergessen wird immer die Quersubventionierung durch die operative Gynäkologie, die in Dormagen bekanntermaßen gut ausgelastet ist. Folgt man der Argumentation der CDU, sollte eine Verlagerung nur der Geburtshilfe nach Neuss genügen. Darum scheint es also nur als Aufhänger zu gehen. In Wahrheit geht es um Zertifikate (s.o.), Schwächung des Standortes Dormagen und einen erhofften Effekt auf Patientenströme, die, und auch das weiß man aus Grevenbroich, nur zum Teil in Neuss landen werden. Hinzu kommt, dass einer der Chefärzte für teures Geld abgefunden werden muss. In Dormagen wird der Verlust der Frauenklinik zu einer geringeren Deckung der Fixkosten und Auslastung des OPs führen, was gemeinsam mit dem Verlust der Gefäßchirurgie zu einer deutlicheren wirtschaftlichen Schieflage in Dormagen führen wird. Damit sind der Ausschlachtung von Dormagen so wie in Grevenbroich Tür und Tor geöffnet.
Vorschläge von Herrn Hambloch CDU Rommerskirchen:
Si tacuisses, philosophus mansisses, ist man geneigt zu sagen. Den Zusammenhang der Abschaffung einer hoch professionellen Notfallversorgung in einen Zusammenhang mit einer Schulung von Laienhelfern und Anschaffung von Defibrillatoren zu stellen, ist absurd, lächerlich und entlarvt eine unfassbare Ignoranz und Kenntnislosigkeit. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Ob eine gut geplanter, reduzierter Krankenhaus-Neubau wirklich „unbezahlbar“ ist, kann man auch anders sehen. Je nach Größenordnung muss man für einen Neubau von 300 – 550 Mio. € ausgehen. Alleine der aktuell kommunizierte Finanzbedarf an investiven Kosten für das bestehende Klinikum beträgt ca. 100 Mio. €, zuzüglich der aktuellen Verluste mit ca. 20 Mio. + jährlich 2,8 Mio. Es wäre also durchaus machbar, mit entsprechenden Förderzuschüssen des Landes (Strukturwandelfonds) in dieser Frage eine Alternative aufzuzeigen.
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Dr. Clemens Stock
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